Archiv für November 2011

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Heute vor 73 Jahren

Veröffentlicht in Geschichte & Gesellschaft | 09. November 2011 | 22:56 | roland

Der 9. November 2011… Weniger der Erinnerungstag an den Mauerfall 1989, als vielmehr der düstere, nie verblassende Schatten jener Nacht vor 73 Jahren ist es, der diesen Tag prägt. Reichsprogromnacht. mehr als 1.100 Synagogen brennen in Deutschland, Tausende Juden werden werden aus den Betten gezerrt, durch die Straßen getrieben, getreten, bespuckt, verprügelt. Mit diesem Tag begann eines der dunkelsten Kapitel des eh schon dunklen 20. Jahrhunderts. Für uns Anlass, trotz Arbeitsstress und Terminen der Gedenkstunde in der Frankfurter Paulskirche beizuwohnen. Petra Roth lieferte in gewohnter Weise ihre sorgfältig formulierten einleitenden Worte ab. Dieter Graumann fand im Anschluss einmal mehr sehr persönliche Worte und Bilder, die keinen der diesmal wieder sehr zahlreichen Anwesenden unbeeindruckt ließen. Das Highlight jedoch war die Rede Adriana Altaras, in Zagreb geborene und in Gießen aufgewachsene Wahlberlinerin, Schauspielerin und Regisseurin. Eine alerte und sehr humorvolle Jüdin der „Enkelgeneration“, verheiratet mit einem Deutschen, die auf wohltuend handfeste und konkrete Art die Erinnerungsrituale in Frage stellte, die wir Jahr für Jahr und allzuoft stoisch begehen. Ich habe selten erlebt – eigentlich nie in den vielen vergangenen Jahren – dass einer der Redner es geschafft hätte, den Anwesenden ein Lächeln oder gar ein Schmunzeln zu entlocken. Adriana Altaras Direktheit und unverblümtes Beschreiben dessen, was ist, mit all seinen Schleifspuren im Alltag, dem oft mühevollen sich Begegnen ist der beste Beweis dafür, dass sich in den vergangenen Jahrzehnten eben doch vieles bewegt hat. Bewegt in die richtige Richtung: aufeinander zu. Menschen wie sie sind es, die dafür sorgen, dass wir durch den Schleier unserer längst lethargischen Deutschstunde in der Paulskirche die Vitalität und den selbstironischen Optimismus neu aufblühender jüdischen Gemeinden in Deutschland erblicken dürfen. Ja, dürfen. Denn das ist eingedenk des Geschehenen ein unglaubliches Privileg und ein Vertrauensbeweis von historischer Dimension. Und einfach erfrischend!

(©Foto: Roland Müller)

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